5.1.1. Ankündigung der Sendepause: Man sagt umgangssprachlich schon mal zu jemand „Bitte laß mich mal in Ruhe, ich brauche mal was Abstand.“ damit man wieder zu sich selbst und einen klaren Kopf bekommt. Das ist zum Bezugspartner ein metakommunikativer Hinweis auf den aktuellen Wunsch zur momentanen Beziehungsgestaltung. Das kennen wir.
Die Sendepause ist eine sehr übersteigerte Form. Insofern bedarf sie einer Erklärung, die transparent machen soll, um was es geht. Dies soll nicht so „nebenher“ oder aus einer aktuellen Situation heraus gemacht werden, sondern im ersten Schritt soll eine explizite Situation gestaltet werden, die gut geplant sein soll.
Ort
Als Ort schlage ich meist einen neutralen Ort vor, in dem die Gemeinschaft der Familie sich zumsammen findet. Das sollte nicht das Zimmer von Max (der hier wieder als Platzhalten für einen Sohn oder eine Tochter) sein, weil das deren besetzter Raum ist und die Eltern nur zu Gast dort wären. Das sollte auch nicht das Wohnzimmer sein, weil sich dort zumeist die Eltern aufhalten. Vielmehr schlage ich die Küche bzw. den Raum vor, in dem der Eßtisch steht. Max soll also zur Ankündigung an den Eßtisch gebeten werden, in der Hoffnung, daß dies der neutralste Ort im Haus oder der Wohnung ist.
Zeit
Der Zeitpunkt sollte ebenfalls gut geplant sein. Es soll eine bestimmte Woche gewählt werden. Ich dieser Woche sollte ein Tag ausgewählt werden, an dem es keinen Konflikt oder andere emotionale akute Mißstimmungen gibt. Es sollte also, soweit dies in dieser Phase des miteinander Lebens möglich ist, ein doch entspannter Tag sein.
Im einfachsten Fall sind Mutter und Vater zu am gewählten Tag zu Hause und Max ebenfalls: „Max kommst Du mal bitte in die Küche, wir möchten Dir etwas mitteilen!“
An dieser Stelle der Hinweis, daß die Eltern nicht die Formulierung wählen sollten, sie möchten etwas „besprechen“. Das suggeriert, der mitgeteilte Inhalt sei verhandlungsfähig. Das ist er ja in diesem Fall nicht!
Leben Vater und Mutter getrennt, benötigen wir den Zwischenschritt der Planung des Gespräches: „Max sei bitte heute Abend um 19 Uhr mal zu Hause. Papa kommt und wir möchten Dir etwas mitteilen.“ In der Regel würde Max nachfragen: „Um was geht es denn (schon wieder)?“ Darauf würde Mutter nicht eingehen, sondern sagen, daß Max bitte bis um 19 Uhr warten möge.
Instruktionen
Wir Profis sollten mit Eltern wirklich diese kleinschrittigen Aspekte und Abläufe durchgehen und möglichst viele Eventualitäten von uns aus gegenüber den Eltern ansprechen damit diese möglichst gut vorbereitet in die Situation gehen.
Hilfreich ist auch das imaginative Durchspielen der Situation so wie die Eltern sie erwarten. Sie kennen ihren Max und seine Reaktionen viel besser als der Coach und können diesem vermitteln, wie sich die Situation zwischen Max und Eltern möglicherweise gestalten wird.
So kommt es darauf an, nicht auf Worte, Mimik und Gestik von Max einzugehen und auf ihn zu reagieren. Die Eltern sollten sich selbstbewußt fühlen oder sich zumindest so zeigen, was man im vorbereitenden Rollenspiel mit den Eltern üben kann.
Die Eltern sollten gemeinsam überlegen, 1. zu wem von beiden Elternteilen hat Max (aus seiner Sicht gedacht) die entspannteste Beziehung; das wäre der bevorzugte Elternteil, der mit Mitteilung machen könnte; 2. welcher Elternteil fühlt sich selbst am sichersten darin, die Mitteilung entspannt und selbstbewußt maachen zu können. Auch das wäre der bevorzugte Elternteil.
Botschaft
Hier eine Musterbotschaft, die Eltern ihrem eigenen Sprachduktus anpassen können:
„Max, wir möchten Dir etwas mitteilen: Wir Eltern haben uns darüber Gedanken gemacht, wie wir zur Zeit mit Dir umgehen. Machmal behandeln wir Dich wie einen 6jährigen und nicht wie einen 16jährigen. Wir merken, daß Dich das nervt. Wir Eltern sollten unser Verhalten ändern. Wir brauchen aber mal etwas Zeit, um uns über unsere Beziehung zu Dir Gedanken zu machen. Wir brauchen mal Abstand und müssen einen klaren Kopf bekommen. Laß uns mal 14 Tage gegenseitig aus dem Weg gehen und eine Sendepause machen – sei Du mal für Dich und wir sind für uns, und wir machen uns Gedanken.“
Diese Botschaft haben zuvor die Eltern handschriftlich aufgeschrieben. Sie haben unterschrieben z. B. mit „Max wir haben Dich lieb. Mama und Papa“ und sie überreichen Max dieses Schriftstück mit der Bitte, es gut zu verwahren.
Ich habe es früher immer wieder erlebt, daß Jugendliche vor lauter Anspannung, Aufgeregtheit oder pubertärer Verwirrtheit den Inhalt der Botschaft nicht genau so verstanden haben, wie die Eltern sie mitgeteilt hatten. Die schriftliche Version der Botschaft ermöglicht den Eltern, gegebenfalls später nochmals darauf zu verweisen, was genau sie gesagt hatten.
Keine Diskussion
Bedeutsam ist nun auch, wie diese Situation am Eßtisch beendet wird: es darf keine Diskussion geben. Ließen die Eltern auch nur den Beginn einer Diskussion zu, erweckten sie unweigerlich den Eindruck, das was sie soeben mitgeteilt hatten, sei verhandelbar und das ist es ja nicht. Wollte Max mit den Eltern über die Botschaft reden, müßgten die Eltern vorbereitet sein, daß sie Max sagen: „Wir haben das, was wir Dir gerade mitgeteilt haben, hier aufgeschrieben. Bitte lies nochmal nach. Das ist alles, was wir momentan sagen möchten.“
Optimal wäre es, wenn die Eltern als erste aufstehen würden, weil sie dann ein Zeichen für ihre Autonomie setzen – sie verhalten sich unabhängig von Max’ Verhalten.
Dramaturgie
Diese Ankündigung ist eine besondere Situation, die nicht gleichzusetzen ist mit anderen Alltagssituationen. Die Ankündigung ist ebenso wie die darauffolgende Sendepause eine außergewöhnliche beziehungsgestalende Maßnahme und sollte daher der geplanten Dramaturgie folgen, um ihre Wirksamkeit sicherzustellen bzw. wahrscheinlich zu machen.
Der Berater bzw. Coach ist der Regisseur dieser Dramaturgie. Die Eltern sind die durchführenden Darsteller. Das Publikum ist Max.
Aufgabe des Beraters ist es, mit den Eltern an der dramaturgischen Abfolge zu arbeiten und an ihrer Darstellungsfähigkeit und –kunstfertigkeit zu feilen. Es lohnt sich, diese Ankündigung sehr audführlich und gut vorzubereiten. Desto besser wird das „Stück“ gelingen und Wirkung zeigen.
Eltern wenden gelegentlich zu Recht ein, das sei doch ein völlig künstliches Vorgehen. Ich stimme ihnen vorbehaltlos zu. Die ganze verfahrene Situation mit Max’ hat nichts „Normales“ mehr, weshalb sich die eltern ja auch in Beratung begeben haben. Also anworten wir auf eine unnormale, ungewöhnliche Lebenssituation mit einem unnormalen, ungewöhnlichen Verhalten bzw. einer Inszenierung.