Mit Mentalisieren bezeichnen wir jene Fähigkeit, die Menschen um das vierte bis fünfte Lebensjahr herum entwickeln, indem sie eine Vorstellung darüber entwickeln, was sich in anderen Menschen wohl abspielen mag. Die Psychologie bezeichnet dies als die Theory of Mind.
Gut entwickelt mündet dies in der differenzierten Fähigkeit, sich selbst von Innen und Außen (die eigene Beobachtungsfunktion aus einer Metaposition heraus) und andere von Innen betrachten zu können.
Mentalisierende Eltern mit pubertierenden Jugendlichen:
Mich selbst als Elternteil von Außen betrachten können: Wie gut kann ich einschätzen, wie ich mit meiner Art allgemein und meinem Verhalten im Besonderen auf andere Menschen wirke. Jeder wird mich aufgrund seiner eigenen spezifischen Wahrnehmung etwas anders wahrnehmen und doch wird es eine größere gemeinsame Schnittmenge geben, in der sich andere darüber einig sind, wie man mich wahrnimmt und erlebt. Wie gut können Eltern die eigene Wirkung auf andere zutreffend einschätzen?
Andere von Innen wahrnehmen können: Wie gut können Eltern sich in andere hineinversetzen und abschätzen, wie jemand denkt, fühlt, beurteilt, wahrnimmt, welche Einstellungen, Bedürfnisse und Wünsche jemand hat und dieses im eigenen Erleben und Verhalten und der Kommunikation berücksichten. Wie gut können sich Eltern in andere hineinversetzen?
Für Eltern ist es mitunter nicht einfach, Schritt zu halten mit den Veränderungen, die sich innerlich wie äußerlich bei Pubertierenden vollziehen. Besonders die inneren Welten der Pubertierenden werfen zu verschiedenen Zeiten Rätsel und Fragen auf.
Es kann für Eltern hilfreich sein, sich mit der Fähigkeit des Mentalisierens zu beschäftigen.
Die Zeit der Pubertät ist ein bedeutsamer Wendepunkt im Leben auch für Eltern.
Sie könnten diesen Wendepunkt nutzen, um Bilanz zu ziehen, um sich auf den neuen Lebensabschnitt vorzubereiten.
Eine Bilanz könnte sich mit der eigenen Wirkung auf andere beschäftigen, sich selbst von Außen betrachten zu können.
Hilreiche Fragen könnten für Eltern sein:
Welches sind meine kritischen Ecken und Kanten?
Will ich die gerne behalten oder möchte ich gerne Alternativen entwickeln?
Wo, wie und wen nerve ich schon mal?
Auf was oder wen springe ich schon mal impulsiv „ungünstig“ an?
Äußern sich meine Sprache, Stimme und mein Verhalten stimmig (kongruent)?
Was finden andere gut, schön, positiv, nett, konstruktiv an mir?
Welche meiner Verhaltensweisen und Kommunikation kommt gut an bei anderen?
Was davon sollte ich unbedingt behalten?
Was ließe sich weiter ausbauen und noch mehr kultivieren?
Wo sind in der Beziehung zu anderen Menschen meine Stärken?
Wo bin ich da im positiven Sinn einzigartig?
Wen kann ich um ein Feedback bitten? Die Kinder, den/die PartnerIn, Freunde, KollegInnen, Verwandte …
Wie fällt meine Bilanz aus und was sollte ich mir vornehmen, um etwas sein zu lassen, auszubauen oder ganz neu zu entwickeln?
Wie es in den Wald ruft, so schallt es heraus – sagt das Sprichwort. So wie man mit anderen umgeht und ihnen begegnet, kommt etwas Entsprechendes zurück. (2)
Zeige man sich konstruktiv, kommt mit Wahrscheinlichkeit konstruktives Verhalten zurück. Was aber bewertet mann in welchem Kontext (Situation mit wem) als „konstruktiv“ und was und wie bewertet das der Mensch mit dem man gerade zu tun hat? Man ist ständig damit unbewußt beschäftigt, die eigene Außenwirkung mit der Innensituation anderer abzugleichen. Das ist förderlich für menschliche Beziehungen.
Wenn Eltern mentalisierend gut drauf sind, d. h. sie haben sich mit dieser menschlichen Fähigkeit beschäftigt, und in der Folge haben Eltern Bilanz gezogen und wissen nun genauer, wie sie auf andere wirken, dann können sie sich mit dem Mentalisierungsteil beschäftigen, der sich auf das Innen der anderen, also der Pubertierenden, bezieht.
Die Herausforderung für Eltern ist es, mentalisierend zu entdecken, zu erspüren, wie ist der Sohn, die Tochter jetzt eigentlich gerade so drauf. Kann man mit ihr/ihm jetzt reden, weil erstens der linke PFC (3) nicht im Standby-Modus arbeitet, sondern gut aktiviert ist und zweitens der rechte PFC (3) nicht sehr aktiv ist, sondern relativ entspannt oder ist die Hirnsituation momentan anders herum tätig? Manchmal ist das überdeutlich, manchmal hilft aber auch erst ein gut geschultes beobachtendes Auge.
Wenn Eltern dann die rechts-links-Aktivität (3) herausgefunden haben, sind sie weiter mentalisierend gefordert, herauszufinden, in welch differenzierter Gefühlslage befindet sich denn das sich neu entwickelnde pubertierende Gehirn gerade und wie gut sind die Exekutivfunktionen (3) ansprechbar und aktiviert. Das ist alles nicht so einfach, weder für die Pubertierenden selbst noch für die Außenwelt, wie die Eltern.
Da heißt es aufmerksam sein in der Wahrnehmung und behutsam sein im Umgang.
Hochpuschen von Emotionen, Verstricken in sprachliche Eskalationen, Diskussionen um … bringen nichts außer meist Kränkungen oder bestenfalls Mißverständnisse. Das können sich Eltern ersparen.
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1 siehe die Beschreibung bei http://de.wikipedia.org/wiki/Mentalisierung
2 siehe die Geschichte vom Tempel der 1.000 Spiegel: http://www.youtube.com/watch?v=8QrVaBZ9am4
3 siehe Amygdala und Co