Fragen von KollegInnen der Drogenhilfe – 5. Frage
… wenn ich diesen selbst gar nicht kenne?
Und ist es überhaupt wichtig für die Beratung der Eltern?
Wir sollten die qualitativen und quantitativen Aspekte des Konsumverhaltens unterscheiden.
- die qualitativen Aspekte
Dazu müssen wir als Berater zunächst eine eigene Haltung entwickeln. Diese ist dann mit der Institution, für die wir arbeiten, abzugleichen. Jeder Berater benötigt die Rückendeckung seiner Institution, um bestimmte Werte, Normen und Regeln vertreten zu können. (In Coachings und Supervisionen mache ich immer wieder die erstaunliche Erfahrung, wie wenig verbreitet diese Rückkopplungen mit den Institutionen und Trägern, die zu sicheren Auftragslagen der Mitarbeitenden doch notwendig sind, getroffen werden.)
Probierkonsum von Nikotin, Alkohol und illegalen Drogen ist bei Jugendlichen unvermeidbar.
Meine Haltung dazu ist:
Unter 16* Jahren ist Probierkonsum nicht zu tolerieren** und es sollte sofort dafür gesorgt werden, daß dieser beendet wird. Voraussetzung für wirksames Elternverhalten in diesem Kontext ist elterliche Präsenz.
Zwischen 16 und 18 Jahren können Eltern Probierkonsum tolerieren, und sie sollten mit ihrem Jugendlichen als die Unwissenden über seine persönlichen Erfahrungen ins Gespräch kommen, denn die Mehrzahl der Eltern hat selbst viele Erfahrungen nicht gemacht.
Wenn Eltern selbst Konsumerfahrung hatten, können sie um so leichter in einen Erfahrungsaustausch fast auf Augenhöhe anbieten.
Unsere eigene Haltung müssen wir mit jener der Eltern abgleichen, wenn diese denn schon über eine reflektierte Haltung verfügen. Oft ist es so, daß sich Eltern hier vom Berater Orientierung erhoffen. Die sollten wir geben – entscheiden tun die Eltern.
Orientierung gibt in Bezug auf Alkohol und Nikotin klar das Jugendschutzgesetz. Hierin haben Eltern eine gute Grundlage den Umgang mit den Konsummitteln zu vertreten.
Illegalem Drogenkonsum ist das gesellschaftliche Verbot immanent. Also muß, ob Probierkonsum oder welcher auch sonst, seitens der Eltern immer klar gestellt werden, daß sie gegen diesen Konsum sind. Aspekte von Suchtgefährdung oder möglicher Abhängigkeit sind hier nicht die Argumentationsgrundlage***, sondern allein die Rechtslage!
- die quantitativen Aspekte
Alkohol trinken muß man lernen. Jemand, der noch nie im Leben Alkohol getrunken hat, weiß beim ersten Konsum nicht wie er wirkt. Auch beim zweiten oder weiteren Konsum ist die Wirkung von der Art des Getränkes, von der individuellen Verfassung und vom sozialen Kontext abhängig.
Meine Haltung dazu ist:
Ich gebe dem Jugendlichen 5 Gelegenheiten auszuprobieren, welche Wirkung Alkohol auf ihn hat. Bei diesen 5 Gelegenheiten sollte er gelernt haben, wie Alkohol auf ihn individuell wirkt und daß mit Alkohol nicht zu spaßen ist.
Wie Eltern mit jenen Situationen wirkungsvoll umgehen, in denen der Jugendliche betrunken nach Hause kommt, behandeln wir im Kapitel, in dem es um den Umgang mit Suggestionen geht.
Die Meinungen und Haltungen zum Konsum illegaler Drogen sind sehr vielfältig. Das sollten Berater unbedingt mit ihren Institutionen und Träger abklären und eine gemeinsame Meinung vertreten.
Meine Haltung dazu ist:
Den über 16 jährigen Jugendlichen sollten wir beim Probierkonsum illegaler Drogen ebenfalls zugestehen, daß sie nach maximal fünfmaligem Konsum erfahren haben sollten, was dieser für ihre Persönlichkeit und Psyche bedeutet und es dann wieder sein lassen.
Da nach meinem Kenntnisstand der Reifungsprozeß des jugendlichen Organismus, insbesondere des Gehirns, bis zum 25. Lebensjahr dauert, sollte in diesem Zeitraum so wenig als möglich bio-chemisch in diesen Entwicklungsprozeß eingegriffen werden.
Bei der Entwicklung des Cannabinoidsystems dauert der Entwicklungsprozeß sogar bis zum 30. Lebensjahr. (2013 pers. Mitteilung von Prof. Dr. Dlabal auf den Hamburger Suchttherapietagen)
Ich gestehe Jugendlichen einerseits zu, daß sie die Welt erkundigen (dazu gehört auch die Erfahrung mit Rauschmitteln), verlange aber auch, daß sie reflektierende Schlüsse und Erkenntnisse aus diesen Erfahrungen ziehen.
Fortgesetzter Konsum illegaler Rauschmittel geht wegen der strafrechtlichen Seite gar nicht, Cannabiskonsum wegen seiner risikohohen Schädigung des jugendlichen Gehirns schon zweimal nicht.
Beim Alkoholkonsum gibt es zwar die Richtlinien der WHO, die aber für Jugendliche in der Entwicklungsphase noch einmal strikter zu handhaben sind.
Zwischen einem Probierkonsum und einer sich manifestierenden Abhängigkeit gibt es eine Phase der Unklarheit, der wir hier ein besonderes Augenmerk schenken sollten:
Hilfreich zur Beurteilung einer Abhängigkeit sind die Kriterien des ICD 10, siehe www.drugcom.de/drogenlexikon/abhaengigkeit.
Wenn Eltern unsicher sind, wieviel ihr Jugendlicher Rauschmittel konsumiert, sollten sie sich idealerweise völlig entspannt und cool zeigen – egal wie es ihnen wirklich geht (es hilft ja nichts) – und das Gespräch suchen. Eltern haben eigene Rauschmittelerfahrungen (gehabt) und können darüber mit dem Jugendlichen ins Gespräch gehen. Wenn dieses nicht gelingt, weil die Beziehung sich schon zu leidvoll gestaltet hat, stehen Eltern und damit auch der Coach vor der Entscheidung: entweder schreiten wir ein oder lassen es laufen.
Das Einschreiten beschreiben wir im Kapitel Sit In.
Zum Laufen lassen ohne jegliche Intervention können wir den Eltern Folgendes vermitteln:
Niemand kann diagnostizieren, ob der Jugendliche eine Disposition zur Entwicklung einer Rauschmittelabhängigkeit mit auf die Welt bekommen hat.
Wenn der Jugendliche keine Disposition zu einer Rauschmittelabhängigkeit hat, wird er den Konsum wieder einstellen.
Was jedoch, wenn er nur deswegen konsumiert, weil ihn seine Eltern in der Vergangenheit so genervt haben und er noch meint, das ginge so weiter?
Wir können also nur herausfinden, ob er den Konsum einstellt, wenn sich die Eltern völlig zurückziehen und ihn eine Weile (3-4 Monate) mit dem Konsum alleine lassen.
Sollte er dann immer noch konsumieren arbeiten wir u. a. mit der Intervention des Sit In.
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* Jugendliche sind in diesem Alter sehr unterschiedlich weit entwickelt, so daß auch das Entwicklungsstadium mit in Betracht gezogen werden sollte.
** Grundlage dafür sind die Erkenntnisse aus der Hirnforschung über die Entwicklung des Gehirns und der Botenstofforganisation in der Entwicklungsphase der Pubertät.
*** siehe das Kapitel über die Kraft der Suggestion: www.systemische-ausbildung-wmc.de/die-kraft-der-suggestion und www.systemische-ausbildung-wmc.de/positive-suggestionen und