4.4 „Professionalisierung“ von Eltern
Fortwährender gesellschaftlicher Wandel und Kontextvielfalt in vielen Lebensbereichen machen es Familien ohnehin nicht leicht, noch eine Sicherheit spendende Orientierung zu behalten. Jede weitere Abweichung von einer vermeintlichen Normalität bringt Familien und damit auch Eltern schon mal an die Grenze dessen, an der Orientierung noch möglich ist. Der Gebrauch von Rauschmitteln und Medien ist oft so eine Abweichung.
Für Jugendliche, die sich in einer pubertären Experimentierphase befinden, ist „Normalität“ etwas, daß in Frage gestellt werden muß.
Für Eltern, die selbst keine Pubertät mit experimentellem Rauschmittelkonsum oder eine Phase mit exzessivem Mediengebrauch durchlaufen haben, macht dieses schon mal schnell Angst und verunsichert die Beurteilung, ob normal oder schon abweichend. Eltern mit entsprechender eigener Erfahrung tun sich da mitunter leichter, und sie bleiben meist gelassener und tragen weniger zu Eskalationen bei.
Wenn wir, wie schon erwähnt, konstatieren, daß es immer noch keinen breiten ( ! ) gesamtgesellschaftlichen Konsenz dazu gibt, was für die Erziehung bzw. die Eltern-Kinder-Beziehung wirklich bedeutsam gehalten wird, wie sollen sich Eltern dann in besonderen Situationen (Rauschmittelkonsum) und neuen Entwicklungen (Medienmißbrauch) orientieren können, wo doch selbst die professionelle Welt allzu häufig immer noch orientierungslos erscheint. Wie oft erhalten wir in der Suchthilfe die Anfrage von professionellen Helfern, sie wüßten nicht weiter, es gehe doch um Süchtiges.
Professionelles Wissen und KnowHow für alle, aber bitte mit Haltung
Es ist schon erstaunlich, daß auf dem schulischen Lehrplan noch nicht einmal die Basics dessen stehen, was wir für zwischenmenschliches Umgehen und Zusammenleben wissen und können sollten. Wir können das beklagen. Es hilft uns aber nicht weiter. Also müssen wir das im Elterncoaching nachholen und nacharbeiten. Es gibt je nach Fall und Anforderung für die Eltern viel zu lernen und neu umzusetzen.
Wir sollten im Elterncoaching für Transparenz sorgen. Keine kommunikative Zauberei. Alles wird verstehbar gemacht. Es kommt nicht nur auf Wissen und KnowHow an, sondern auch auf die Haltung: wir gehen respektvoll mit den Eltern um und möchten, daß sie respektvoll mit ihren Jugendlichen umgehen. Wir machen transparent, was wir wie mit den Eltern vorhaben, was wir ihnen präsentieren und zumuten. Das gleiche sollten auch Eltern gegenüber ihren Jugendlichen praktizieren und umsetzen. Die Kernbotschaft des Elterncoachings und des neuen elternlichen Engagements ist ja:
– Max, Du konsumierst. Das möchten wir nicht.
– Wir sind hilflos und wissen, daß wir Dich letztlich nicht hindern können.
– Weil Du unser Sohn bist und wir Dich lieben, müssen wir uns aber dafür einsetzen, daß Du den Konsum aufgibst.
– Das machen wir bis Du konsumfrei lebst.
Diese Botschaft ist aber der letzte Schritt. Zuvor gibt es viele mögliche Zwischenschritte, die je nach Fall, Konsumstatus und gesundheitlicher Gefährdung des Jugendlichen und Zustand der Eltern, entwickelt und beschritten werden können.
In diesen vorbereitenden und zielorientierten Schritten, in denen die Eltern viel über Kommunikation, die Gestaltung von Beziehungen, familiärer Muster etc. lernen, entsteht immer einmal wieder die Frage, ob dieses KnowHow, mit anderen Menschen umzugehen, nicht manipulativ sei. Meine Antwort ist: alles ist manipulativ. Jeder von uns fühlt sich in der Gegenwart anderer Menschen dann am Wohlsten, wenn sich andere so verhalten, wie es den eigenen bekannten und vertrauten Beziehungsmustern entspricht. Und wir tun unbewußt verdammt viel, daß die anderen sich so verhalten sollen. Man nennt dies „Übertragung“. Mir ist es aber lieber, möglichst viele Menschen haben das Wissen über alle diese Mechanismen, wie Menschen miteinander umgehen. Das ist mein Job – dafür setze ich mich ein. Und wenn ich schon unbewußt sowieso ständig andere Menschen manipuliere, dann ist es mir doch lieber, ich mache dies auch bewußt und ich weiß wofür und wozu. Natürlich läßt sich dieses Wissen um Kommunikation und Interaktion auch mißbrauchen, weshalb ich dies immer mit einer bestimmten Haltung verbinde und diese auch einfordere: das Ziel ist die partnerschaftliche Interaktion auf Augenhöhe.
Viele der Klienten haben rückgemeldet, daß ihnen dieses Wissen, das KnowHow und die begleitende Haltung nicht nur in Bezug auf den Jugendlichen geholfen habe, sondern auch zu wohltuenden Veränderungen in der Partnerschaft und auch im Beruf geführt habe. Um das nochmals hervorzuheben: das ist nur mit einer wertschätzenden und respektvollen Haltung anderen Menschen gegenüber so wirksam!
Das Eltern zu vermittelnde Wissen und KnowHow folgt im Elterncoaching keinem geschlossenen Curriculum, sondern wird je nach Fall aktiviert und eingesetzt, um funktional bestimmte Ziele zu verfolgen. In den folgenden Kapiteln werden „Werkzeuge“ vermittelt, die in ihrer Gesamtheit dann einen Werkzeugkoffer bilden, der je nach Einsatz geöffnet wird, um die fallbezogenen Werkzeuge einsetzen zu können. Analog der folgenden Metapher: Du hast zu Hause eine Türe, die nicht mehr schließt. Du weißt nicht warum und wieso und bestellst einen Handwerker. Der kommt und untersucht die Türe. Er holt seinen Werkzeugkasten, öffnet ihn und repariert dann die Türe und erklärt Dir begleitend was er tut, so daß Du es das nächste Mal selber machen könntest. Zusätzlich erläutert er auch noch einige andere Handwerkszeuge, warum er die nicht benutzt, weil die Schäden anrichten könnten. Auch wäre die Reparatur nur sinnvoll, wenn er die Türe nun in diesen einen bestimmten Türrahmen (Zarge) einsetze, denn in einem anderen Türrahmen müsse zuvor etwas anderes geschehen. Menschen sind keine Gegenstände und Maschinen, die Metapher hinkt, aber jeder weiß, was gemeint ist.
Im Elterncoaching gibt es keine Rezepte. Jedes Vorgehen ist individuell abzustimmen und zu entscheiden. Aber das Ziel ist klar: Konsumfreiheit. Der Caoch verfügt über den umfangreichsten Werkzeugkoffern und gibt im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit und Gelegenheiten viel an die Eltern weiter.