Mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die mit den bekannten 68er Jahren einhergingen, geriet „Autorität“ in eine vielfache Begriffsverwirrung. Bis heute gibt es eine breite gesellschaftliche Unsicherheit, bei Profis wie bei Eltern, wie mit diesem Phänomen „Autorität“ umzugehen und wie dieses zu verstehen ist. Haim Omer gebührt das Verdienst, eine „Neue Autorität“ konzeptionell auf neue Füße gestellt zu haben. Wer sich erstmals einlesen möchte, sollte mit dem Buch „Autorität durch Beziehung“ beginnen.
Was ist der entscheidende Unterschied zwischen der alten Autorität vor 68 und der „Neuen Autorität“ ? Es ist der Faktor „Gewalt“ im Sinn einer psychischen und physischen Repression.
Die alte Autorität benutzte Gewalt, um sich durchzusetzen. Aus. Vorbei. Ethisch nicht vertretbar.
Die heutige Autorität hat das nicht nötig. Sie demonstriert allenfalls, daß sie da ist – zeigt Präsenz.
Ich schreibe hier ja über die Arbeit mit Eltern deren Jugendliche Rauschmittel konsumieren oder existenzgefährdenden Medienkonsum zeigen. Als ich 2002 mit diesem Projekt begann, arbeitete ich bereits seit über 20 Jahren als familiensystemischer Therapeut und als Suchttherapeut. Zu meinem neurotischen Naturell gehört, daß ich meist von mir und dem was ich tue ziemlich überzeugt bin (Selbstreferenz). Lebenserfahrung wie eigene Therapie haben mich zudem gelehrt, Feedback ernst zu nehmen (Fremdreferenz).
Bei systemischen KollegInnen eckte ich oft an, ob meines gelegentlich ( ! ) direktiven, sprich autoritären Stils. Das sei doch nicht systemisch.
Von anderen bekam ich Komplimente dazu, wie ich mit meinen Klienten (Eltern-Klienten) durch Dick und Dünn ginge.
Aus dieser „Seele“ sprach mir jüngst der Artikel von Arist von Schlippe „Systemischen Denken und Handeln im Wandel“, in dem er über die „Sieben Paradoxien systemischer Arbeit“ schreibt. Für mich sind das keine Widersprüche, sondern eine Indikationsfrage.
Mir fällt dazu ein „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andren zu!“ Unter anderen ist auch diese goldene Regel ist eine Leitlinie für dieses professionelle Handeln. Ich mag es, wenn ich es mit Menschen zu tun habe, die wissen, was sie wollen. Ich verhandle gerne um ein best mögliches Ergebnis für möglichst viele Seiten.
Also zeige ich mich auch als jemand, der weiß was er will. Ich bereite mich z. B. bei Verhandlungen stets sehr gut vor und entwickle meine eigene Meinung – und dann schaun wir mal was die anderen sagen und meinen.
Mein Ziel in der Arbeit mit Eltern ist es, diese autonom zu machen von dem was ihren Jugendlichen zeigen. Ich arbeite mit den Eltern an deren ganz eigener Haltung, Meinung, Zielvision. Und ich möchte (UPS: ist das jetzt systemisch oder nicht?), daß sie dann auch so auftreten. Ich fordere sie zu Rollenspielen auf, egal wie ängstlich sie sich zeigen: Kommen Sie. Wir machen das jetzt mal. (Und dann sind wir schon wieder systemisch beim nächsten Paradoxon: Ich möchte, daß die Eltern eine neue Autonomie zu ihren Jugendlichen gewinnen, sich gleichzeitig aber zu mir in eine Abhängigkeit begeben „sollen“, indem sie das tun, was ich für gut = wirkungsvoll halte)
Ergo muß ich mich selbst als Modell präsentieren: ich zeige mich den Eltern, die ich im Elterncoaching berate, als ein sehr präsentes bis Weilen autoritäres Modell ! Ich fordere die Eltern heraus. Ich ringe mit Ihnen, oft bis an die Grenze jenes Phänomens, das wir Widerstand nennen, weil ich möchte, daß sie lernen, das auch mit ihren Jugendlichen zu Hause zu schaffen.
Ich respektiere diese Eltern als eigenständige autonome Menschen (Organisationseinheiten) und vertraue darauf, daß sie sich „wehren“ und widersetzen. Ich ringe mit ihnen um neue Entwicklungsschritte. Und ich arbeite dabei mit Bindung und Bezogenheit: wenn ich diese Eltern, mit denen ich arbeite, nicht „lieben“ würde, ich könnte es nicht tun. Ich hoffe und bin überzeugt – das kommt rüber. (Siehe auch die Sendepause)
Haim Omer: https://de.wikipedia.org/wiki/Autorit%C3%A4t