Keine Erwartungen erfüllen
In der Suchthilfe haben wir es immer wieder mit Eltern zu tun, die berichten, daß ihre Tochter oder ihr Sohn, also Max*, z. B. seit Wochen oder Monaten kifft (oder exzessiv PC spielt etc.). Gleichzeitig verhält sich Max sehr wechselhaft: mal zeigt er sich nett, freundlich, fast liebevoll zugetan, dann wieder reizbar, launisch, aggressiv herum wütend. Die Eltern fühlen sich diesen Wechselbädern an Stimmungen ausgeliefert, können nie sicher sein, wie Max gerade drauf ist. Ob sie ihn nun so ansprechen oder so ansprechen, sie können nie sicher sein, wie er reagiert. Allmählich haben die Eltern das Gefühl, sie verlieren nicht nur den realen, sondern auch den inneren Kontakt zu Max.
Was tun?
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Serie einer Aktion starten, zum einen den inneren Kontakt zu ihrem Max wieder aufbauen und herstellen und zum zweiten Max demonstrieren, daß die Eltern da sind und er an ihnen nicht vorbei kommt, mit ihnen rechnen muß.
Elterliche Präsenz demonstrieren
Nimm Dir als Eltern mindestens 4 Wochen vor, zu Max einen neuen Kontakt aufzubauen.
Mach Dir einen Plan, Max Zimmer zu besetzen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Du wirst Dich in Max Zimmer setzen. Und zwar immer und immer wieder.
Allerdings wirst Du die Zeiten so wählen, daß Max sich auf keine Zeiten einrichten kann, sondern Du sorgst immer wieder für neue Überraschungen.
Nicht Du als Eltern wirst künftig über das wechselhafte Verhalten von Max irritiert sein, sondern Max wird über Dein elterliches Verhalten irritiert sein und er muß schauen, was er von Dir zu halten hat und wie er sich auf Dich einstellen kann.
Der Plan und seine Vorbereitung
Um Deine anfängliche Unsicherheit in Sicherheit zu wandeln, nimmst Du Dir an 3 Tagen im Abstand von 2 Tagen Zeit und setzt Dich in Max Zimmer, wenn er nicht zu Hause ist: am 1. Tag für 5 Minuten, am übernächsten Tag für 10 Minuten und wieder am übernächsten Tag für 15 Minuten.
Du wirst die Zeit spüren und ein Gefühl dafür bekommen.
Die Vorbereitung
Es ist sehr wichtig, diese Vorbereitung ohne Max durchzuführen.
In Anwesenheit von Max braucht es später schon ein bestimmtes Selbstbewußtsein und Standing. Das kannst Du mit dieser Vorbereitung schon anbahnen.
Hinweise für Elternpaare
Setzt Euch jeweils beim ersten Mal getrennt alleine in Max Zimmer.
5 Minuten! Stell Dir einen Wecker. 5 Minuten, nicht kürzer und nicht länger.
Laß mal die Zeiten durchziehen, die Du mit Max erlebt hast. Laß Deine Gedanken in Bezug auf Max treiben. Sortieren kannst Du später.
Am übernächsten setzt Ihr Euch zu zweit hin.
10 Minuten! Stellt Euch einen Wecker. 10 Minuten, nicht kürzer und nicht länger.
Denkt an Max und sprecht über ihn. Wann haben die Probleme begonnen. Seit wann verhält er sich so wechselhaft. Wie geht jeder von Euch beiden innerlich und im Elternverhalten damit um. Kurzum: würdigt, daß Ihr in einer schwierigen Situation steckt und daß Ihr sa raus wollt, um wieder handlungsfähig zu werden.
Am 3. Termin wieder 2 Tage später setzt Ihr Euch erneut zu zweit hin.
15 Minuten! Stellt Euch einen Wecker. 15 Minuten, nicht kürzer und nicht länger.
Nun sprecht Ihr bitte ausschließlich über den netten Max, erinnert Euch an die unbeschwerten Zeiten; kramt Eure Erinnerungen an die vielen schönen Erlebnisse aus Max Entwicklung hervor, an denen Ihr Euch gefreut habt.
Heute kein Wort über Streß, Ärger, Enttäuschungen – kein Wort! Nur positiv, positiv, positiv.
Hinweis für Alleinerziehende
Die gleichen Schritte wie oben beschrieben kannst Du auch alleine machen, im Selbstgespräch mit Dir über Max.
Falls Du zum getrennt lebenden Elternteil eine kooperative Beziehung hast, kannst Du ihm oder ihr vorschlagen, sich für diese Phase der nächsten 4 Wochen zu beteiligen.
Nachdem Du Dich mit diesen 3 Vorbereitungsterminen ohne Max in seinem Zimmer aufgehalten hast. Können wir nun über die Durchführung in Anwesenheit von Max sprechen.
Wie schon erwähnt, willst Du lernen, elterliche Präsenz zu zeigen. Du willst Dich nicht mehr von Max wechselhaftem, launischen Verhalten abhängig machen, willst Dir keine Respektlosigkeiten mehr bieten lassen, aber auch nicht mehr in irgendwelchen Diskussionen Schachmatt gesetzt werden oder sich in Eskalationen verwickeln lassen oder sich gar selbst zu respektlosen Äußerungen oder Verhalten hinreißen lassen. Du willst nicht mehr abhängig von Max Verhalten nur noch reagieren müssen.
Du willst Autonomie gewinnen und das machen, was Du willst, was Du geplant hast und Max soll lernen, sich an Dir zu orientieren. Mach ihm also Schwierigkeiten, sich auf Dein Verhalten einstellen zu müssen und ncht umgekehrt. Max muß lernen mit Dir zu Recht zu kommen und nciht umgekehrt. Du bist, solange Max noch bei Dir lebt, das Grundmodell für die Welt das draußen und Max kann an Dir lernen, wie die Welt da Draußen funktioniert und wie man sich arrangieren muß.
Die Durchführung
Das Präsenzprinzip ist für diese Aktion: Max soll sich auf keine Regelmäßigkeit einrichten können, sondern durch wechselnde Zeiten imer wieder überrascht werden, daß und wann Du bei ihm auftauchst.
Haim Omer und Arist von Schlippe nennen diese Aktion in ihren Büchern und Seminaren Sit In oder Sitzstreiks in der Tradition des gewaltlosen Widerstandes durch Gandhi.
Ich möchte das hier aber nicht als Sitzstreik benennen, denn es geht zunächst nicht darum, bestimmte Forderungen durchzusetzen, sondern Dir selbst durch diese Präsenz das Gefühl der Autonomie zu vermitteln und eine neue innere Beziehung zu diesem langsam erwachsen werdenden Max zu bekommen.
Nun endlich die Durchführung, die hier zunächst für Elternpaare beschrieben ist
Das 1. Mal bei Max sitzen:
Du wirst wissen, wann Max normalerweise zu Hause ist.
Starte z. B. an einem Sonntagabend, 18 Uhr für 5 Minuten. Nicht kürzer und nicht länger – egal, was sich entwickelt. Du „mußt“ Autonomie zeigen.
Du klopfst bei Max an die Türe. Du gehst in das Zimmer. Setzt Dich irgendwo hin und machst es Dir bequem.
Max wird fragen, was Du willst. Du sagst sinngemäß mit Deinen eigenen Worten: Max, mir war nach Dir. Ich brauch mal wieder ein wenig unbeschwerten Kontakt. Laß uns nicht reden. Ich will hier einfach 5 Minuten sitzen und gehe dann wieder. Mach Du nur mit Deinen Sachen weiter.
Du schaust Dich sitzend einwenig um und gehst nach exakt 5 Minuten: Tschüss Max.
Was wird Max erwarten?
Wir wissen es nicht wirklich, können es nur erahnen. Aber diese Frage ist künftig bedeutsam:
Du richtest künftiges Verhalten im Rahmen dieser Aktion so aus, daß Du mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Erwartungen von Max erfüllen wirst.
Wird er erwarten, daß Du morgen wieder kommst, kommst Du erst am übernächsten Tag.
Warst Du schon zweimal um 18 Uhr bei ihm, kommst Du beim dritten Mal erst um 20 Uhr und beim vierten um 15 Uhr.
Warst Du am übernächsten Tag bei ihm und er erwartet Dich erst 2 Tage später, kommst Du schon morgen wieder oder erst in einer Woche.
Der konkrete Plan für Alleinerziehende
Der Ablauf könnte so aussehen:
Sonntag 18 Uhr – 5 Minuten
Montag 18 Uhr – 10 Minuten (mit der gleichen Ansage wie gestern, falls Max fragt)
Max erwartet, daß Du Dienstag wieder kommst. Machst Du aber nicht.
Mittwoch 20 Uhr – 10 Minuten
Donnerstag 19 Uhr – 10 Minuten
Max erwartet, daß Du Freitag oder Samstag wieder kommst. Machst Du aber nicht, weil Du 1 Woche wartest bis nächsten
Donnerstag 19 Uhr – 10 Minuten
Sonntag 18 Uhr – 5 Minuten
Max erwartet, daß Du die nächsten paar Tage wieder kommst. Machst Du aber nicht, weil Du 2 Wochen wartest.
Sonntag 18 Uhr – 5 Minuten
Montag 18 Uhr – 15 Minuten
Max erwartet, daß Du Dienstag wieder kommst. Machst Du aber nicht.
Mittwoch 16 Uhr – 15 Minuten
Donnerstag 21 Uhr – 10 Minuten
Gut, jetzt sind wir bei 5 Wochen gelandet.
Jetzt müßtest Du eigentlich einen neuen inneren Bezug zu Max begonnen haben zu entwickeln …
Der konkrete Plan für Elternpaare
Der Ablauf könnte so aussehen:
Mutter: Sonntag 18 Uhr – 5 Minuten
Vater: Montag 18 Uhr – 10 Minuten (mit der gleichen Ansage wie gestern, falls Max fragt)
Max erwartet, daß Du Dienstag wieder kommst. Machst Du aber nicht.
Vater: Mittwoch 20 Uhr – 10 Minuten
Mutter: Donnerstag 19 Uhr – 10 Minuten
Max erwartet, daß Du Freitag oder Samstag wieder kommst. Machst Du aber nicht, weil Du 1 Woche wartest bis nächsten
Mutter: Donnerstag 19 Uhr – 10 Minuten
Vater: Sonntag 18 Uhr – 5 Minuten
Max erwartet, daß Du die nächsten paar Tage wieder kommst. Machst Du aber nicht, weil Du 2 Wochen wartest.
Vater: Sonntag 18 Uhr – 5 Minuten
Vater und Mutter: Montag 18 Uhr – 15 Minuten
Max erwartet, daß Du Dienstag wieder kommst. Machst Du aber nicht.
Vater und Mutter: Mittwoch 16 Uhr – 15 Minuten
Vater bei Jungs /Mutter bei Mädchen: Donnerstag 21 Uhr – 10 Minuten
Gut, jetzt sind wir bei 5 Wochen gelandet.
Jetzt müßtest Du bzw. Ihr eigentlich einen neuen inneren Bezug zu Max begonnen haben zu entwickeln …
Gewappnet sein: Max‘ Reaktionen auf die Aktion
Solch eine aufwenige Aktion macht man nicht aus Spaß, sondern nur, wenn man als Eltern ich echten Nöten ist, weil man den Eindruck hat, man verlöre den inneren Kontakt zu Max.
Das ist in der Lebensphase der Pubertät ja eigentlich auch verständlich: viele Jugendliche verändern sich in einer kurzen Zeitspanne so stark, daß man allein der äußeren Entwicklung mit eigenen inneren Wahrnehmung kaum hinter herkommt. Und auch innerlich verändern sich die Jugendlichen natürlich auch – nur daß wir in sie nicht reinschauen, sondern immer nur erahnen (mentalisieren) können, was in Max wohl so vorgehen mag.
Da Max sich vor lauter innerer und äußerer Veränderung manchmal selbst nicht zu kennen scheint, wird er auf unsere elterlichen Fragen, auf Kritik und ähnliches noch verunsicherter reagieren, so daß es immer wieder zu den bekannten emotionalen und aversiven Ausbrüchen kommt, die nichts anderes sind, als ein Schutzbedürfnis mit der verschlüsselten Botschaft: Bitte laßt mich doch in Ruhe, ich weiß gerade selbst nicht wo ich bin – wie soll ich mich denn dann Euch gegenüber zeigen, verhalten, äußern etc.
Die in den letzten Blogeinträgen skizzierten „Sitzungen“ bei Max sollte man nur dann machen, wenn alle anderen Versuche, mit Max in Kontakt zu kommen und zu bleiben, nicht mehr zum Ergebnis führen und sich beide Seiten, Eltern und Max, immer und immer wieder in das gleiche Beziehungsmuster verstricken.
Die Aktion beinhaltet 2 bedeutsame Teile:
1. In erster Linie soll sie dazu dienen, daß Du als Vater oder Mutter, Dir frei von Forderungen und Konflikten mal Zeit nimmst, bei Max zu sein und wieder Deinen inneren Bezug herstellen kannst.
2. Wird diese Aktion natürlich irgendeine Wirkung auf Max haben und wir können nie wissen, bei welchem Max zu welcher Zeit was wie wirkt. (Therapeuten ist der ungewisse Effekt als sogenanntes „Therapeutendilemma“ bekannt, über das ich in einem der nächsten Blogs schreiben werde.)
Egal wie Max reagieren wird, Du bleibst cool und machst deutlich, daß es um Dich geht. Daß Du Max lieb hast, weil er Dein Sohn ist und Du deshalb hier sitzt, weil Du das einfach tun mußt. Er möge das bitte nicht persönlich nehmen. (Hier gemeint im Sinne eines Angriffes gegen ihn.)
Sollte Max respektlos reagieren, bleib sitzen und ignoriere das. Gehe, wenn Deine Zeit, die Du Dir vorgenommen hast abgelaufen ist.
Sollte Max respektvoll reagieren und mit Dir sprechen wollen, sage ihm bitte, daß Du jetzt einfach nur da sitzen möchte, Du würdest Dich aber auch mal wieder gerne mit ihm unterhalten und mit ihm eine andere Zeit vereinbaren, z. B. mal zusammen was essen und dann plaudern.
Nciht sofort dem Kontaktwunsch von Max nachkommen, bedeutet, daß Du ohne Worte deutlich machst, daß Du die Kontrolle über die Beziehung behältst, weil Du zeitlich vertagst. Das strahlt Sicherheit aus.
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* nennen wir sie/ihn hier der Einfachheit halber mal Max